- jüdische Musik.
-
Die frühesten Quellen zur jüdischen Musik finden sich in der Bibel sowie in schriftlichen und ikonographischen Quellen aus Mesopotamien, Ägypten, Phönikien und Griechenland. In neueren Forschungen werden ergänzend Tonaufnahmen schriftloser orientalisch-jüdischer Volkstraditionen sowie Methoden vergleichender Liturgiewissenschaft und Ikonographie ergänzend hinzugezogen. In der Schöpfungsgeschichte (1. Mose 4, 21) wird Jubal als Stammvater aller Leier- und Flötenspieler erwähnt. Hiermit sind die zwei Kategorien der (gezupften) Saiteninstrumente (hebräisch Kinnor) und der (Rohrflöten-)Blasinstrumente gegeben (hebräisch Ugab). Dazu weist der Eigenname Jubal (hebräisch yôvel »Widderhorn«) auf die dritte Kategorie hin, die der heiligen Tierhörner des Widders (Schofar, Keren oder Sachar). Diesen drei Kategorien entsprechen in der Frühzeit die drei Stände der Priester mit Horn und Trompete (Hazozra), der Leviten mit Leier und Harfe (Nebel) und des Laienvolkes Israel mit den nichtliturgischen Volksinstrumenten der Flöten und Schalmeien (Halil, Abul). Hinzu kommen noch Schlagzeuge aus Bronze (Zizal, Miziltajim) und Trommeln (Toph).Im Tempel in Jerusalem waren die zahlreichen Riten mit einem festgelegten Musikerzeremoniell verbunden. Zur Regierungszeit Davids (1004/03-965/964 v. Chr.) bestand eine feste Organisation der Tempelorchester und -chöre, die Berufsausbildung der Tempelmusiker erfolgte in einer eigenen Akademie (1. Buch der Chronik 25; 2. Buch der Chronik 5, 12-14). Schon in der nachsalomonischen Zeit zerfiel die Musikergilde des Tempels; vom orchestralen Prunkstil führte der Weg zum einfachen, unbegleiteten Singen. Die umfangreichste Liedersammlung des Alten Testaments sind die Psalmen, die meist David zugeschrieben werden. Die Erben der Priester- und Levitenmusiker waren die Propheten, in deren poetisch gehobenen Reden der davidische Psalter eine innere Erneuerung fand und zum Wegbereiter der späteren Synagogalmusik nach dem Fall des alten Reiches (70 n. Chr.) wurde.Das Singen der Psalmen war während der Blütezeit des Tempels offensichtlich mit festlicher Chor- und Orchesterbegleitung bedacht worden. Die Psalmen galten als vornehmstes Beispiel hebräische Lyrik, die den Reim nicht kennt, sondern die Verszeilen im »Parallelismus membrorum« (Gleichlauf der Versglieder) aufbaut. Die melodische Linie fügt sich genau dem Parallelismus des Textes und verdichtet sich zu einer Psalmformel im Sinne der grammatischen »Interpunktionsmelismatik«: Satzanfang, -mitte und -schluss erhalten ein Melisma, während die verbindenden inneren Satzteile auf einer Eintonlinie rezitiert werden.Lectio:Die biblische Kantillation kann durch ihre kunstgerechte Anpassung an den unregelmäßigen Satzbau der Prosabücher im Alten Testament als eine Ausweitung des formelhaften lyrischen Psalmsingens angesehen werden. Um 500 n. Chr. begann man mit der Klassifizierung und schriftlichen Niederlegung der hebräischen Leseakzente. Ihre Realisation durch die Textausleger (Masoreten) war nach Zeit und Ort verschieden und wurde erst im 10. Jahrhundert endgültig festgelegt.Hymnodikund Gebetslyrik entwickelten sich aus Psalmparaphrasen und Akklamationen und zeigten neue Ansätze in der religiösen Dichtung (Pijut) von Eleazar ha-Qillir (um 750 in Palästina). Die Wortdeklamation ist akzentisch, die Melodien behielten ihren freirezitativ. Charakter bei, mindestens bis zum Einbruch der metrischen arabischen Lyrik (10. Jahrhundert). Erst während der Blütezeit der spanischen Epoche (besonders im 15. Jahrhundert) erfolgte eine mehr liedmäßige Gestaltung der Melodien. - Die neuere Gebetslyrik (Chazzanuth) mit ihren ornamentalen Melodien erforderte die Person des stimmbegabten Kantors (Chazzan). Die schöpferischen Perioden dieser Kantoralmusik waren u. a. die Kabbala von Safad (16. Jahrhundert) mit I. Luria u. a. sowie der Chassidismus (18. Jahrhundert) in Osteuropa, dessen eigenste musikalische Schöpfung der wortlose Niggun war. Seit der jüdischen Emanzipation um 1800 bewirkte die synagogale Reform eine von orthodoxen Juden weitgehend abgelehnte Angleichung der Kantoralmusik an die europäische Kunstmusik mit ihren Bearbeitungen von Chazzanuthmelodien für Orgel und mehrstimmige Synagogenchöre. Ihnen folgten oratorienartige, gottesdienstliche Kompositionen von E. Bloch, D. Milhaud, das »Kol nidre« von A. Schönberg sowie geistliche Kantaten israelischer Komponisten wie Karl Salomon (* 1897, ✝ 1974), Alexander Uriah Boskovich (* 1907, ✝ 1964), Ödön Partos (* 1907, ✝ 1977), Josef Tal (* 1910), Mordechai Seter (*1916), León Schidlowski (* 1931), Yizhak Sadaï (* 1935). Den Anschluss an die westliche Avantgarde vertreten daneben u. a. Tzvi Avni (* 1927) und Marc Kopytman (* 1929). Stellvertretend für die von den Nationalsozialisten als »entartet« diffamierte jüdische Komponistengeneration des 20. Jahrhunderts seien die im Konzentrationslager Theresienstadt wirkenden Viktor Ullmann (* 1898, 1944) und Pavel Haas (* 1899, ✝ 1944) genannt, deren Werke durch Wiederaufführungen eine Rehabilitierung erfahren haben. (Klezmer)E. Gerson-Kiwi: Musique dans la Bible, in: Dictionnaire de la bible. Supplément, hg. v. L. Pirot, Bd. 5 (Paris 1957);P. Gradenwitz: Die Musikgesch. Israels (1961);P. Gradenwitz: Die althebr. Gesänge u. die frühe christl. Psalmodie (1983);D. Wohlenberg: Kultmusik in Israel (1967);A. Sendrey: Musik in Alt-Israel (a. d. Engl., Neuausg. 1970);E. Werner: The sacred bridge (London 1959, Nachdr. New York 1979).Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:Musik im Tempel und in der Synagoge
Universal-Lexikon. 2012.